Näher dran!
Das Nürnberger Unternehmen Eschenbach Optik kann bereits auf eine lange Tradition im Bereich der innovativen Entwicklung von Brillen und Sehhilfen auf internationalen Märkten zurück blicken. Grund genug, um einmal den Designprozess der neuen Sehhilfe MaxTV genau unter die Lupe zu nehmen.
Eschenbach Optik
Unerlässlich: Test der Konstruktion per 3D-Simulation.
Wer kennt das nicht? Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 steht vor der Tür, und wenn es soweit ist, steht man als mitfiebernder Kneipengast meist in den hinteren Reihen und versucht verzweifelt das Geschehen rund um das Leder auf der Leinwand mit zu verfolgen. Wenn man doch nur näher dran wäre!

Das Nürnberger Traditionsunternehmen Eschenbach Optik erkannte dieses Problem und schuf mit einer speziellen Sehhilfe Abhilfe. Als deutscher Marktführer für Brillenfassungen und als Nr.1 im Bereich optischer Sehhilfen weltweit lag die Schließung dieser Marktlücke auf der Hand.

Also machte sich die hauseigene Designabteilung um Industriedesigner Martin Schillinger an die neu gestellte Aufgabe und präsentierte alsbald eine optimale, auch optisch gelungene Lösung. Die universell passende Sehhilfe MaxTV wird wie eine normale Brille getragen, vergrößert jedoch das Fernsehbild um das 2,1-fache, sieht ansprechend aus und ermöglicht über ein handliches Einstellrädchen einen Dioptrieausgleich von bis zu +/- 3 dpt. pro Auge. Ideal also für WM-Freaks gleichermaßen wie für sehschwache Menschen.

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In Rhinoceros hinterlegte Skribbles erleichtern das Zeichnen der 2D-Linien.
Normale Brillen unterliegen meist einem starken modischen Trend und sind entstehungsgeschichtlich eher als 2D-Objekte zu sehen, wodurch sie sehr effizient auch mit einem 2D-Grafikprogramm wie z.B. CorelDraw dargestellt werden können. Bei Bedarf können die 2D-Zeichnungen als AI-Dateien in den Freiform-Flächenmodellierer Rhinoceros importiert werden. Plastisch aufwändigere Produkte wie die MaxTV-Sehhilfe hingegen werden bereits in einem sehr frühen Stadium des Designprozesses in drei Dimensionen modelliert.

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Ergonomiestudie in Rhinoceros mit den Referenzpunkten Iris, Brillenbügel und Linsenoptik
Basis des Projektes MaxTV war jedoch zunächst die Entwicklung der Linsenoptik mit der Optik-Design Software ZEMAX. Mit den so gewonnenen Linsendaten und dem notwendigen Verstellweg der Objektivlinse, der die Dioptriewerte widerspiegelt, wurden in Pro/E verschiedene Konstruktionen für den Verstellmechanismus entwickelt. Diese für die Modellierung zwingend notwendigen Vorgaben der Linsenoptik und Mechanik importierte Schillinger als STEP-Dateien problemlos in Rhinoceros und erarbeitete anschließend die ergonomischen Basisdaten, um einen perfekten Sitz der MaxTV zu gewährleisten. Parallel zu diesem Prozess entstanden 2D-Handskizzen, die als Hintergrundbilder für die Kurvenerzeugung in Rhinoceros eingesetzt wurden. Nun konnte mit der eigentlichen Modellierung begonnen werden.

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3D-Simualtion: der Nasensattel muss möglichst universell gestaltet sein, ohne dabei auf einen hohen Tragekomfort verzichten zu müssen.
Die Designer entwarfen zahlreiche Freiformflächen-Modelle, um formale Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Im Fortlauf einer konstruktiven Änderungskommunikation - einem steten Hin und Her - zwischen Designer und der Konstruktions- bzw. Entwicklungsabteilung präzisierte man diese Modelle weiter, bis letztendlich das optimale Design gefunden wurde. Martin Schillinger sprach in diesem Zusammenhang von einem "kreativen Spiel", welches er mit Rhinoceros erfolgreich bestreitet - einerseits, weil man intuitiv und rasch Freiformflächen aufbauen kann, um vor dem Prototypenbau bereits Proportionen und räumliche Zusammenhänge, Ergonomie und technische Anforderungen eines Produktes abzuklären und zu beurteilen. Andererseits ermöglicht Rhinoceros auch mit wenig Zeitaufwand eine präzise Konstruktion mit sauberen tangenten- und krümmungsstetigen Flächenübergängen.

Das Ergebnis war ein "gelungenes universelles Design mit fliesenden Formen, die der menschlichen Anatomie ideal angepasst sind", so Schillinger über das Projekt MaxTV. Die Zielvorgaben, möglichst wenige Kunststoffbauteile einzusetzen sowie eine verwindungssteife Bauweise der Optik, waren vollständig umgesetzt worden. Jedes Bauteil der MaxTV ist multifunktional, die stabile Optik-Konstruktion gewährleistet die notwendige Parallelität der optischen Achsen, wohingegen die Bügel und der Verstellmechanismus elastisch gehalten sind, um den unterschiedlichen Kopfanatomien der zukünftigen Trägerpersonen gerecht zu werden. Alle Bauteile der MaxTV wurden in Hinblick auf die Konstruktion werkzeug- und materialgerecht modelliert, d.h. Rhinoceros-Funktionen wie der Zebrashader, mit dem man die Qualität der Flächenmodelle anhand der Lichtreflexionen kontrollieren kann, oder das Draft Angle Tool, also das Werkzeug zur Überprüfung der Entformungsschrägen, kamen häufig zum Einsatz.

Um den Entscheidungsträgern im Marketing und Vertrieb ebenso wie der folgenden Produktionsstufe, den Konstrukteuren und Werkzeugbauern, die Idee des Designers bereits in einem frühen Entwicklungsstadium präsentieren und visualisieren zu können, setzte Schillinger das Rhinoceros-Plug-In Flamingo, ein photorealistisches Bildberechnungsprogramm, ein. Auch seine eigene kreative Ideenfindung zu Beginn des Projektes wurde durch die jederzeit modifizierbaren, fotorealistischen Simulationen zu einem nicht geringen Maße gefördert.

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3D-Visualisierungen können hilfreich und kosteneinsparend sein - reduzieren sie doch oftmals den klassischen Modellbau auf nur wenige Ausfertigungen, vor allem in der Anfangsphase des Designprozesses.
Um jedoch eine endgültige Entscheidung über das Fortleben des Produktes treffen zu können, ist gerade beim Brillendesign der klassische Modellbau nicht wegzudenken. Dem haptischen Effekt, die Brille bzw. Sehhilfe eben einmal auf der Nase zu tragen, kommt eine große Gewichtung zu, weshalb von den Designs im Lauf des Design-Prozesses einige Rapid-Prototyping-Modelle angefertigt wurden. In Rhinoceros generierte der Designer Schillinger aus dem betreffenden Modell einen STL-Datensatz und exportierte diesen an einen 3D-Drucker.

Die Rhinoceros-Daten des letztendlich erfolgreich abgesegneten Modells wurden dann als STEP-Dateien nach Pro/E zur Werkzeugkonstruktion exportiert. Nach dem Werkzeug- und Formenbau kam MaxTV zur Serienproduktion und über die einschlägigen Augenoptikerfachgeschäfte zum Endverbraucher.

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MaxTV: Ergebnis eines "kreativen Spiels" mit Rhinoceros.
Der wirtschaftliche Erfolg eines Produktes wie z.B. der MaxTV-Sehhilfe und die Akzeptanz der Konsumenten hängen entscheidend von einem reibungslosen Zusammenspiel der beteiligten Abteilungen eines Unternehmens ab. Nur wenn Designer, Entwickler und Konstrukteure auf "Augenhöhe kommunizieren und sich in die Probleme und Forderungen, sprich Ergonomie, Design, Materialien, Optik, Werkzeugbau etc., des jeweils anderen hineindenken und gemeinsam den besten 'Kompromiss' finden können, entstehen wirklich erfolgreiche Produkte", so Martin Schillinger von Eschenbach Optik.

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von Stefan Roth / flexiCAD.com