Digitale Präzision
Wie wichtig Beratung und Begleitung durch einen erfahrenen 3D-CAD-Planer bei einem komplexen Projekt sind, veranschaulicht die Sanierung und Modernisierung der Innenraumschale des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Der selbständige Designer Thom Geyer setzte Rhinoceros als CAD-Software ein – wir haben den umfangreichen Prozess für Sie zusammengefasst.
Das 1970 von dem Architekten Bernhard Pfau entworfene Schauspielhaus nimmt in seiner städtebaulichen Bedeutung, mit seiner skulpturalen Architektur, aber auch mit seinem Ruf als Sprechbühne innerhalb des Deutschlands der Nachkriegszeit eine herausragende, wegweisende Stellung ein. Nur behutsam kann man an solch einem Bauwerk Eingriffe wagen, jede Veränderung erfolgt deshalb vor einem sehr anspruchsvollen Hintergrund und wird kritisch begleitet.

Der sog. Große Saal des Hauses war in Anlehnung an einen Resonanzkörper als Raum ohne Ränge oder Logen konzipiert und wendet sich dadurch voll der Bühne, einer klassischen Guckkastenbühne, zu. Die komplexe Form und Konstruktion dieser vollständig mit Holz ausgekleideten Innenraumschale stellte schon damals hohe Anforderungen an Planer und ausführende Betriebe.

Neben der notwendig gewordenen Schadstoffsanierung wollten Theaterleitung und Träger des Hauses den Saal in seiner Akustik verbessern. Mit modernsten Mitteln und nach neuesten Erkenntnissen von Akustik und Brandschutz, aber in möglichst genauer Anlehnung an die alte Form wurde ein ehrgeiziges Vorhaben realisiert.

Thom Geyer Design
3D-Scan der Raumschale
Zunächst musste die gesamte Wand- und Deckenbekleidung einschließlich Unterkonstruktion ebenso wie alle Einbauteile entfernt werden. Nach der kompletten Entkernung blieb ein Rohbau aus Stahl und Beton, mit geschwungenen Wänden und treppenartigen Bestuhlungsebenen übrig.

Nach Übergabe der Architektenplanung mussten zunächst die Gestaltungsvorgaben und Funktionsbereiche in einem präzisen 3D-Modell zusammengeführt werden. Während auf der Baustelle bereits erste Vorarbeiten geleistet wurden, begann der beauftragte Designer Thom Geyer unter großem Zeitdruck mit der Erarbeitung eines stimmigen 3D-Modells. Für den dazu erforderlichen unkonventionellen Weg arbeitete er mit der 3D-CAD Software Rhinoceros, welches die Einhaltung höchster Präzision mit flexibler Handhabung verbindet. Die volle 3D-Echtzeitdarstellung und Modellierfähigkeit im Flächen-, wie im Solidmodus sowie die einfach zu bedienenden Fangeigenschaften des Programms waren weitere wichtige Faktoren für diese Entscheidung.

Thom Geyer Design
Flächenmodell
Weder der treppenstufenförmige Bodenaufbau noch die geschwungenen Außenwände des Saales boten eine Bezugskante, auf der die Planung aufbauen konnte. So wurde noch vor der Einrüstung ein Punkt in der Mitte des Saales als absoluter Nullpunkt festgelegt, der Messpunkt für den 3D-Scan und für jeden weiteren Planungs- und Umbauschritt war.

Der 3D-Scan wurde zunächst in Rhinoceros übernommen, Kontrollmaße überprüft und die gelieferten 3D-Konturen verwertbar aufbereitet. Alle relevanten Stahlbauteile, wie Beleuchterbrücken und Regieraumaufbauten, wurden als einfache 3D-Konturen in den Plan übernommen. Auf den Nullpunkt setzte Herr Geyer ein Rastersystem mit den einzelnen Breitenmaßen der Paneelflächen, zur besseren Kontrolle der Planung wurden zudem 2D-Pläne erstellt.

Thom Geyer Design
konstruktive Handarbeit: Furnierbild
In das 3D-Gerüst wurden nun die drei ineinander übergreifenden Segmente, die technisch betrachtet der Akustik des Raumes dienen und um alle Stahlbauten im Deckenbereich herum modelliert werden mussten, als Freiformkörper eingebaut. Die entstandenen Freiformkörper wurden anschließend dem Breitenraster der Paneelflächen folgend aufgeschnitten, um exakte Konturkanten als Leitlinien für die Konstruktion der schräg aufeinander gesetzten Paneelflächen zu erhalten.

In den Schnitten zeigte sich, dass die Kontur der einzelnen Paneele und ihre Lage zueinander äußerst genau bestimmt werden musste, da die Stahlelemente nur knapp unterlaufen werden konnten. Mit Rhinoceros ließ sich die Kontrolle jedoch sehr anschaulich und effizient durchführen. In konstruktiver Handarbeit überprüfte und verfeinerte Thom Geyer jede Änderung, jede Verschachtelung, jeden Paneelstoß. Um das gewünschte Fugenbild zu erreichen, generierte er schließlich alle 100 mm Rasterpunkte auf den Leitkonturen. 45 Paneelbänder wurden auf diese Weise in abwickelbare Flächen unterteilt.

Der ursprüngliche Saal war in Formholzteilen gefertigt, nun waren es 2 mm starke, mit Edelfurnier bezogene Blechelemente, die als Spannteile, Stoßkante an Stoßkante gesetzt werden mussten. Lediglich die zwei riesigen Stahlbrücken, die quer über dem Zuschauersaal für die Bühnenbeleuchtung durch den Raum verlaufen, blieben teilweise sichtbar. Jeder Zentimeter Platz musste genau überlegt und geplant sein.

Thom Geyer Design
Paneelschnitt
Eine weitere Herausforderung war die dreidimensional geschwungene Rückwand, die den Saal zum hinteren Regieraum abschließt. Wie ein großer Hohlspiegel ist sie akustisch relevant und gewährleistet, dass auch in den hinteren Reihen alles zu verstehen ist.

Die Paneele selbst unterlagen natürlich speziellen Anforderungen an Akustik und Brandschutz. Die gewählte Leichtbaukonstruktion aus gelochtem Aluminiumblech mit Echtholzfurnier erforderte eine spezielle Lochung (Lochgröße 2mm) und ein besonderes Stoßkantenbild in der gesamten Ansicht der Raumschale – angesichts der extremen Verwindung und dem geschwungenen Verlauf der Flächen äußerst kompliziert. An den Paneelsichtflächen im Innenbereich durften keine Nieten, Schrauben o.ä. erkennbar sein.
Mit dem Objektfang in Rhinoceros konnten auf die Konturlinien exakte Schnittkantenabstände gesetzt werden. Für jedes Paneel musste der Furnierstoß individuell berechnet und per Hand eingestellt werden.

Thom Geyer Design
3D-Modell mit Paneelteilung
Die sichtbare Konturkante der Paneele stellte eine technische Herausforderung dar. Das Paneelmaterial ließ weder Schweißverbindungen noch Schraub- oder Nietverbindungen in den sichtbaren Bereichen zu. Eine Aufkantung des Bleches war aufgrund der Formverläufe und wegen der Rissbildung im Furnier nicht realisierbar.

Die Lösung brachte ein spezielles Gliederprofil. Mit dem flexiblen Profil konnte die 3D Verformung der Paneelkonturen angearbeitet werden und erreichte mittels Klebetechnik durch Zug und Gegenzug eine hohe Kantenstabilität. In den unsichtbaren Bereichen wurden Querstabilisatoren eingesetzt, die auch der Abhängung an der Unterkonstruktion dienten. Mit Festlegung der exakten Furnierstoßkanten im Flächenmodell und aller benötigten Lochungen für Leuchten und technische Einbauten in der Decke konnten die Abwicklungen zu den einzelnen Paneelteilen erarbeitet werden. Am Ende des Bearbeitungsschrittes entstand das geforderte 2D Flächenband, das vom ausführenden Betrieb auf die furnierten Lochblechelemente eingepasst, in Schachtelplänen katalogisiert und zum Wasserstrahlzuschnitt an einen externen Fertigungsbetrieb weitergegeben werden konnte.

Thom Geyer Design
Schablonen
Der Herstellungsabschnitt tolerierte keine Fehler. Die CAD Daten wurden im Hundertstelmillimeter-Bereich generiert, um die Passgenauigkeit der Paneelflächen in der Endmontage gewährleisten zu können (ein Beispiel: Ein Grad Abweichung bewirkt bei einer Paneellänge von 15 Metern eine Ablenkung von 15 Zentimetern!).

Die Paneelelemente wurden schließlich auf Schablonen in Originalgröße in den Werkräumen der Firma Oertel in Neumark aufgelegt und verarbeitet. Danach folgte die Demontage der Teilstücke, die Verfrachtung nach Düsseldorf und schließlich die Montage im Großen Saal des Schauspielhauses.

Thom Geyer Design
der Große Saal
Die Lochung der Paneele bewirkt eine besondere Transparenz, so dass die Hülle seit Beginn der Spielzeit 2011/12 geradezu über dem Saal zu schweben scheint.

© flexiCAD e.K.

von Isabell Häusler / flexiCAD.com