Ergonomische Formen - schön Sitzen
Vor gut neun Jahren rief der Jungdesigner Stefan Brodbeck die Münchner Produktschmiede brodbeck design ins Leben. Loftähnlich hat er sich eingerichtet, mit viel Luft und Raum für entspanntes, menschennahes Arbeiten. Teamorientiertes Handeln und ein freier Gedankenaustausch stehen im Vordergrund.
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design based on people - Firmeninhaber Stefan Brodbeck
Diese Philosophie findet man nicht nur in seiner Bürogestaltung wieder, sie zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Produktentwicklung und prägt entscheidend das vorherrschende Arbeitsklima. Mittlerweile arbeiten 12 Mitarbeiter aus den Bereichen Industriedesign, Innenarchitektur und Modellbau mit Tat und Rat an den verschiedensten Designstudien und Produkten.

Stefan Brodbeck begann seine Karriere nach dem Studium bei dem Altensteiger Designhaus frogdesign, gestaltete Ausstellungen für die Dokumenta AG in Kassel und war als Designer im Wiener Architekturbüro Eichinger oder Knechtl tätig. Heutzutage zählen zu seinen Kunden große Namen wie Ludwig Leuchten, BMW/ServicePlan, das Deutsche Museum in München, der Skibindungshersteller Silvretta, das internationale Pharmaunternehmen Bristol-Myers-Squibb, der Ratgeberverlag Gräfe und Unzer sowie als langjähriger Hauptkunde der Rosenheimer Büromöbelhersteller Steelcase Werndl. Dieses Traditionsunternehmen, 1895 als Bau- und Möbelschreinerei gegründet, vollbrachte in Kooperation mit brodbeck design eine Reihe an inspirierender Sitz- und Schreibmöbel für ein zukunftsweisendes, offen strukturiertes Büro – das sogenannte Workl@b – auf den Markt.

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Auf Knopfdruck fährt die Arbeitsplatte von der Sitzposition in die ergonomisch richtige Stehhöhe
Der Steh- und Sitzarbeitsplatz YoYo von Steelcase Werndl wurde im Jahr 2002 mit dem begehrten „red dot“ ausgezeichnet – der verantwortliche Designer war Stefan Brodbeck. Dieser international anerkannte Designpreis wird seit 1955 vom Design Zentrum Nordrhein Westfalen ausschließlich für hohe Designqualität verliehen. Und damit konnte YoYo in aller Bescheidenheit aufwarten. Das Brodbeck-Team entwickelte dieses neuartige Büromöbel streng nach der Maxime „design based on people“, also mit einem Schwerpunkt auf ergonomisches und arbeitsfreundliches Design, orientiert an den menschlichen Bedürfnissen. „Und die sind so schwer nicht auszumachen“, so Stefan Brodbeck. Im Berufsleben verbringt man durchschnittlich 80.000 Stunden sitzend, wobei der Mensch eigentlich nicht für längeres Sitzen konzipiert ist. Rückenschmerzen und Wirbelsäulenprobleme sind allseits bekannte Nebenwirkungen eines unzureichend konzipierten Büromöbels.

Genau hier setzt Brodbecks Design an, indem er mit YoYo einen höhenverstellbaren Tisch schuf, der durch viele installierte Ablagemöglichkeiten den Arbeitsplatz äußerst flexibel gestaltet und sich per Knopfdruck an das jeweilige Bedürfnis des Menschen anpasst – für ein entspanntes Sitzen oder Kreislauf anregendes und Wirbelsäulen entlastendes Stehen. Design ist also eng verwoben mit Verantwortung gegenüber den Konsumenten. Und das wurde mit der Bürostuhlfamilie Werndl #1, die Ende März 2003 auf den Markt kam, wieder deutlich unter Beweis gestellt. Zwei Jahre lang arbeitete und feilte Stefan Brodbeck an dem Konzept des Werndl #1.

Doch wie geht ein Designbüro nun an ein solch großes Projekt heran? Welche Entwicklungsstufen durchläuft ein Designobjekt dieses Umfangs?

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Menschennahes, entspanntes Arbeiten fördert die Kreation
Bevor man sich an ein neues Projekt macht, sollte man das Unternehmen, für das ein Design entwickelt werden soll, genauer betrachten und analysieren. Wie sind Strategie und Ziel des Unternehmens definiert? Welche Produktpalette wird angeboten? In welchem wirtschaftlichen und technischen Rahmen bewegen sich die Produktionsmöglichkeiten? Und zu guter Letzt muss sich der Designer über das Corporate Design des Kunden bewusst werden und es in seiner Designstudie berücksichtigen. Aufgrund der langjährigen und engen Zusammenarbeit mit Steelcase Werndl aber konnte dieser erste Schritt relativ schnell abgehakt werden. Man kennt sich ja.

Die darauf folgende Zielgruppenanalyse gestaltete sich hingegen etwas arbeitsintensiver. Durch strategisches Trend- und Materialscouting sowie einer fundierten Marktanalyse versucht man bei brodbeck design folgenden Fragen auf den Grund zu gehen: Wie steht es um die Bedürfnisse der potentiellen Konsumenten? In welchem Gewand zeigt sich der relevante Markt? Welche innovativen Materialien und Verfahren können zu neuen Ansätzen führen? Und wer zählt überhaupt zur Zielgruppe des anvisierten Produktes? Je besser ein Designer über seine Zielgruppe und über die relevanten Marktzusammenhänge informiert ist, desto „direkter und zielsicherer können wir passende und überzeugende Produkte entwerfen. Denn ein Produkt ist erst dann überzeugend, wenn es emotional besticht, es den Nutzer in seinem Handeln unterstützt und er es intuitiv für sich gestaltet erfährt“ so Stefan Brodbeck. Über die Arbeit der Konkurrenz sowie über die Produkt-, Preis- und Imagepositionierung Bescheid zu wissen ist das A und O einer erfolgreichen Designentwicklung.

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Drehkreuze als Fundament eines ergonomischen Sitzmöbels
Erst mit diesem Wissen in der Tasche sollte man sich an das Entwerfen einer Designstrategie machen, die dann auch Hand und Fuß hat. Eine eher weitläufige Visionsentwicklung geht alsbald über in eine genaue Zieldefinition. Oder praktisch ausgedrückt: muss ein Stuhl unbedingt von vier Beinen getragen werden? Oder gibt es eine unkonventionellere, flexiblere Art, einen Bürostuhl zu gestalten? Klar, ein Bürostuhl sollte natürlich ins Büro passen und einen gewissen Stil verkörpern. Aber die Hauptaufgabe eines Stuhls ist und bleibt nun einmal dem Menschen ein angenehmes Sitzvergnügen zu bereiten. „Produkte und Systeme müssen sich dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt“ so Stefan Brodbeck, der bereits die ersten Skribbles zur neuen Stuhlfamilie zu Papier bringt.

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Vom Skribble zur Idee - Werndl#1
Denn so fängt jedes neue Produkt an zu existieren – als Skribble. Die Skizzenphase hilft dem Designer dabei, Ideen, die in seinem Kopf noch ungeordnet umhergeistern, zu formulieren und letztendlich ein Konzept zu finden, eine qualitative Basis für die Weiterarbeit am Computer oder Modell. Vor gut zwei Jahren stattete Stefan Brodbeck sein Designbüro mit der CAD-Software Rhinoceros® aus, und das nicht nur aus Kostengründen. Die leichte Erlernbarkeit des Programms, die hohe Kompatibilität zu anderen CAD-Programmen sowie die Tatsache, dass der NURBS-Modellierer an vielen Universitäten als Standardsoftware im Bereich Produkt- und Industriedesign verwendet wird und folglich der Nachwuchs bereits Profistatus genießt, trugen erheblich zu dieser Entscheidung bei.

Am Anfang der Designentwicklung, weit vor dem ersten Kundenkontakt mit dem Modell, verwendet er den NURBS-Modellierer gerne als Skizzenprogramm. Die Hand-Skizzen werden als Bitmaps hinterlegt, worauf der Designer quasi ein 3D-Modell aufzieht. Die so innerhalb kürzester Zeit entstandenen 3D-Modelle werden aus Anschaulichkeitsgründen gerendert und dem Kunden unterbreitet - als ein erster Designvorschlag. Dieser bewertet und entscheidet dann, ob die Vision des Designers verworfen oder verwirklicht werden soll, das Ganze allerdings bereits zu einem Zeitpunkt, an dem noch kaum Geld in die Produktion investiert wurde.

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Verschiedene Szenarien können in Rhinoceros per Mausklick illustriert werden
Weiterer Vorteil der elektronischen Vorab-Modellierung: verschiedene Szenarien können per einfachen Mausklick dargestellt werden. Ob dezenter, unauffälliger Hintergrund oder ein realitätsnahes Umfeld – unterschiedliche Hintergrundkompositionen oder Farbgebungen wirken sich entscheidend auf die Anmutungsqualität aus. Ebenso kann der Gestalter ohne Aufwand dem Modell verschiedene Materialien in den unterschiedlichsten Ausprägungen zuordnen. Rhino lässt auch ein Rendering mit transparenten Stoffen zu, was sich im herkömmlichen Modellbau aus technischen und finanziellen Gründen als nahezu unmöglich erweist, bei der neuen Werndl #1 Stuhlfamilie von Steelcase Werndl allerdings ein nicht unwichtiges Element ist. Die einmal gewonnenen 3D-Daten stellen zudem eine hervorragende Grundlage für ein optionales Prospektlayout oder für die Erstellung von Animationen dar, die dem Kunden vorgeführt werden können. In internen Meetings erhält bei brodbeck design auch der Produktfotograf anhand der CAD-Renderings ein fundiertes Briefing für seine Arbeit.

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Traditioneller Modellbau
Nichtsdestotrotz hat der Modellbau parallel zu der elektronischen Modellierung bei brodbeck design einen traditionell hohen Stellenwert, kann doch selbst die hochwertigste 3D-Konstruktion nicht den haptischen Effekt eines „realen“ Modells ersetzen. Daher wird für eine Großzahl der Projekte der Modellbau gewöhnlich in der eigenen, voll ausgestatteten Werkstatt realisiert, bei umfangreicheren oder spezielleren Aufgabenstellungen auch in Kooperation mit externen Dienstleistern und Stereolyth-Modellbaupartner. Kleinere Maßstäbe stehen an der Tagesordnung, da sie als Grundlage für die Weiterverarbeitung ausreichend sind. 1:1 Modelle sieht man daher bei den Münchner Kreativen eher seltener.

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Hält auch den stärksten ergonomischen Tests stand - die Bürostuhlfamilie Werndl#1
Bei der Entwicklung der Bürostuhlserie Werndl #1 baute der verantwortliche Designer Stefan Brodbeck besonders auf das im Ergonomie Kompetenz Netzwerk ECN gebündelte Wissen. Komfortstudien und Checklisten des ECN, dem sich u.a. der Lehrstuhl für Ergonomie der TU München sowie der Forschung- und Technikzweig der BMW AG angeschlossen haben, bilden eine ergonomisch abgesicherte Basis, die absolut notwendig ist, um dem Ausspruch von Dr.-Ing. Herbert Rausch, Mitglied des Lehrstuhls für Ergonomie der TU München, gerecht zu werden: „Ein guter Stuhl darf nicht mit ‚Showroom Komfort’ blenden, sondern muss Langzeitkomfort bieten“. Dennoch ist eine gewisse Ausstattung an optischer Eleganz wichtig, sorgt doch die Ästhetik des Bürostuhls auch für einen emotionalen Komfort, oder anders gesagt: Ein ästhetisch anmutender Stuhl wird automatisch als angenehm empfunden. Überzeugt der Stuhl dann auch noch auf technischer Linie, so ist ein Erfolg quasi vorprogrammiert. Werndl #1 vollzieht permanent die Bewegung der Wirbelsäule nach und gibt ihr dank einer Synchronmechanik stets den richtigen aufrechten Halt. Lästige Ermüdungserscheinungen des Rückens können somit verringert werden. Der Hochleistungs-Mitarbeiter von Heute hat damit ein anatomisch ausgeklügeltes Sitzmöbel zur Hand bekommen, das den Büroalltag ähnlich wie den Alltag eines gut ausgerüsteten Spitzensportlers angenehm und gesundheitsfördernd gestaltet.

© flexiCAD e.K.

von Stefan Roth / flexiCAD.com